Symposion Deutsch-chinesische Helden_Arbeitsbericht.pdf

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Prof. Dr. Achim Aurnhammer (Universität Freiburg)
Chen Zhuangying (SISU Shanghai)


Bericht über das deutsch-chinesische Kolloquium:
Deutsch-chinesische Helden und Anti-Helden
Strategien der Heroisierung und Deheroisierung in interkultureller Perspektive

Symposium an der SISU Shanghai (Termin: 10.–13. Oktober 2018) in Kooperation mit dem
Sonderforschungsbereich 948 („Helden – Heroisierungen – Heroismen“) und der Germanisti-
schen Institutspartnerschaft der Universität Freiburg mit der SISU
Organisatoren: Chen Zhuangying (SISU) und Achim Aurnhammer (Universität Freiburg)


Überblick
An dem Symposium, das an der SISU (Shanghai International Studies University) stattfand,
nahmen etwa dreißig deutsche und chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
teil. In Plenarvorträgen und zwei Sektionen wurden die chinesisch-deutschen Heldenbilder
vorzugsweise aus der jeweils ‚fremden‘ Perspektive gemustert. Aus komparatistischer
interkultureller Perspektive kam die wechselvolle Beziehung von Heroismus und Alterität im
deutsch-chinesischen    Kulturvergleich zur Sprache. Fallstudien  erläuterten,  welche
paradigmatischen Repräsentanten der deutschen Kultur und Geschichte im chinesischen
Kulturraum einem Heroisierungsprozess unterzogen bzw. als negative Anti-Helden
perhorresziert wurden und – vice versa – welche chinesischen Gestalten im deutschen
Sprachraum eine entsprechende heroische bzw. antiheroische Funktion übernahmen. Die
deutschen Teilnehmer waren insgesamt dreizehn Freiburger Kulturwissenschaftler, davon
fünf Professoren, drei Post-Docs, und fünf Doktoranden. Drei Teilnehmer repräsentierten die
seit fünf Jahren bestehende Germanistische Institutspartnerschaft zwischen der Universität
Freiburg und der SISU, zehn Mitglieder den Freiburger SFB 948 („Helden – Heroisierungen –
Heroismen“). Auf chinesischer Seite beteiligten sich führende Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler aus den renommiertesten germanistischen und geschichtswissen-
schaftlichen Instituten Chinas. Eine Stadtbesichtigung heroischer Stätten in Shanghai,
darunter der Gründungsort der kommunistischen Partei in Shanghai, eine ehemalige
Wohnung Mao Tse-Dungs, aber auch ein Goethe-Denkmal oder das eindrucksvolle Marx-
Engels-Denkmal im Fuxing-Park boten wichtiges Anschauungsmaterial für unsere Tagung.
Besonders aufschlussreich war der Besuch des „Propaganda Poster Art Centre“, einem auch
bei Chinesen wenig bekannten Privatmuseum mit einer beeindruckenden Sammlung der
maostischen Posterproduktion. Die Tagung, die durchaus kontrovers war, fand öffentliche
Beachtung. Der Universitätsvorsitzende der SISU, Herr Dr. Jiang Feng, nahm sich ihrer
persönlich an, die Generalsekretärin des DAAD, Frau Dorothea Rüland kam eigens zu einem
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Grußwort, es wurde in der Zeitung darüber berichtet, zudem hat die Deutsche
Generalkonsulin Frau Dr. Christine D. Althauser die Veranstaltung durch einen Abend-
Empfang im Deutschen Generalkonsulat gewürdigt. Ein Ausflug mit einer kundigen Führung
durch chinesische Gärten in Suzhou rundete die Exkursion ab, die für alle Teilnehmer eine in
vielfacher Hinsicht lehrreiche Erfahrung war.


Zusammenfassung
Geleitet wurde der deutsch-chinesische Dialog von der Annahme, dass Heroisierungs- und
Deheroisierungsprozesse paradigmatische Kristallisationspunkte in der Ökonomie des
interkulturellen Transfers darstellen. Die Anleihen bei fremden Heldenbildern, das Verhältnis
von Inpidual- und Kollektivheroismus, vor allem aber die Bedeutung von Fremdheit, also des
Chinesischen bzw. Deutschen, bei dem Heroenimport, bot insofern neue Perspektiven, als sie
sich als vielschichtig und uneinheitlich erwies. Bisweilen hob die Rezeption auf die Fremdheit
ab, in anderen Fällen betonte sie die Ähnlichkeit. So wurde in der chinesischen Rezeption
Goethes, die Dichter und Werk synthetisiert, das „Faustische“ als kämpferische Haltung im
chinesischen Befreiungskampf propagiert. Umgekehrt wurde etwa der konfuzianische und
kaisertreue Philosoph Gu Hong-Ming, der auch nach 1911 seinen Zopf nicht abschnitt, in der
konservativen Moderne Deutschlands als fremdes konfuzianisches Gegenbild gegen die
technische Modernisierung verherrlicht. Doch kam es bisweilen auch zu Ambivalenzen in der
Rezeption, etwa wenn Bertolt Brecht in seinem Laotse-Porträt die taoistische Maxime der
Gewaltlosigkeit mit Lenins Kampf-Maxime („Wer – wen“) kombiniert. Dieses Verhältnis von
Assimilation, selektiver Aneignung oder Alienisierung in Heroisierungsprozessen verdient es,
genauer betrachtet zu werden, da es die transkulturelle Austauschdynamik erhellen kann. Mit
seinen diachronen Fallstudien vertiefte das Symposium die SFB-Forschungsperspektive
„Transkulturalität“  und  stärkte  überdies  die  Zusammenarbeit   mit  chinesischen
KooperationspartnerInnen.
 Methodisch verfolgte die Tagung einen Kulturtransferansatz, der in komparatistischer,
imagologischer, translatorischer und rezeptionshistorischer Weise modifiziert wurde.
Erkenntnisleitendes Interesse waren die jeweiligen Strategien, mit welchen das kulturell
Andere heroisiert bzw. stigmatisiert wurde. Gefragt wurde nach den medialen und diskursiven
Techniken, die beim Rezipienten das Reservoir des kulturellen Gedächtnisses aktivierten und
als Faktoren der Assimilation bzw. Alienisierung kultureller Alterität wirkten. Auch wenn die
westliche Heroisierung chinesischer Menschenrechtler oder regimekritischer Künstler nicht
zur Sprache kam, sorgten Referate zu politischen Heroisierungsprozessen wie etwa der
Bedeutung Ma-Tse-Dungs für die westlichen Intellektuellen vor und nach dem sogenannten
„Großen Sprung“ oder der Umgang mit der Person Hitlers in China oder von Beate Klarsfeld in
Bundesrepublik Deutschland für Konflikt und Kontroversen. Wie auch schon im 18.
Jahrhundert, als man in einer regelrechten China-Mode chinesische Helden zu politischen und
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humanen Vorbildern stilisierte, zeigten die aktuellen Themen, wie sehr Heroisierungsprozesse
das Fremde durch die eigene Kultur überlagern und es auf diese Weise hybridisieren. Dass
solche Hybridisierungen aber auch und gerade in fiktionalen Heroen und Heroinen zum
Ausdruck kommen, zeigt etwa die Darstellung des Chinesischen als Plattform, um traditionelle
Genderkodierungen von Heldentum in Frage zu stellen, nämlich in der strukturell
bemerkenswerten Dominanz von Kampfheldinnen in Martial-Arts-Filmen, Actionfilmen, die in
der chinesischen Vergangenheit angesiedelt sind. Sie propagieren ein neues Heldentum, das
die bislang stärker männlich codierten heroischen Eigenschaften wie Mut und Kampfkunst auf
Anmut und Selbstkontrolle verschiebt. Überdies ein Beleg für das enorme Potential fiktionaler
Medien bei Infragestellungen traditioneller Heldenbilder und für Inaugurationen neuer
Heroismen.
 Wie die moderne Kulturtransferforschung vor allem die Bedeutung der Vermittler und
Katalysatoren hervorhebt, so wurde auch ihre maßgebliche Rolle in dem deutsch-chinesischen
Heroentransfer betont. Als Übersetzer im weiteren Sinne wirkten sie nicht nur als
interkulturelle Brückenbauer, sondern wurden auch selbst heroisiert wie etwa Marco Polo
oder der in China überaus populäre Jesuitenmissionar Adam Schall von Bell. Auch im
modernen Heroentransfer, insbesondere in der deutschen Kolonie Jiaozhou, wurden direkte
Austauschbeziehungen bedeutsam, man denke an den Übersetzer und Missionar Richard
Wilhelm, der in China heute noch als ‚Kulturheld‘ verehrt wird, oder an Vincenz Hundhausen,
den Übersetzer und Theaterdirektor in Beijing.
 Als lohnend erwies sich die diachrone Perspektive, die über epochenspezifische Kontexte
hinaus eine überzeitliche Funktionsdeutung im Heroentransfer plausibilisierte. Sie lässt sich
thesenhaft verkürzt so zusammenfassen, dass Anleihen bei fremden Heldenbildern vor allem
in Krisenzeiten Konjunktur haben, wenn Herrschaftsformen, gesellschaftliche Verhältnisse,
Geschlechterbeziehungen oder ethische Normen ihre Selbstverständlichkeit verloren haben,
kurz: Fremde Helden und Antihelden sind Antworten auf Krisen. Solche Krisen finden wir in
der China-Mode und der Heroisierung chinesischer Tugenden in der europäischen Aufklärung
des 18. Jahrhunderts, mit der Erosion der Adelsherrschaft, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in
einem konservativen Antimodernismus, der sich auf den traditionellen Konfuzianismus eines
Gu Hong-Ming beruft, im politischen Exil, wo wie bei Anna Seghers der chinesische
Befreiungskampf zum vorbildlichen Kollektivheroismus stilisiert wird, in der Studentenrevolte,
wo mit Mao Tse-Tung und dessen rotem Buch die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft in
Frage  gestellt  wird,  aber  auch  im  postmodernen   Film,  wo  traditionelle
Weiblichkeitsvorstellungen in Gestalt chinesischer Kampheldinnen revidiert werden.


Ertrag und Ausblick
Aus den Diskussionen zu den Fallstudien, welche Heroisierungsprozesse zwischen Deutsch-
land und China in diachroner Perspektive präsentierten, ließen sich drei übergeordnete
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Phänomene abstrahieren: (a) die Semantiken des Heroischen, (b) die Funktion der Darstellung
des Fremden für die eigene Gemeinschaft und (c) die Vermittlungsleistung heroisierter
Figuren in der Geschichte sowie im wissenschaftlichen Gespräch.
  (a) Gerade die Frage, was wir meinen, wenn wir von „Helden“ sprechen, förderte
unterschiedliche Auffassungen zutage. Während im chinesischen Verständnis vom Heroischen
das Integrative und Vermittelnde – sei es zwischen Kulturen, sei es zwischen Klassen oder
Schichten – betont wird und heroische Figuren als ideale Repräsentanten ihrer
Gemeinschaften wahrgenommen werden, ist in der deutschen Forschung das Heroische eher
ein transgressives und exklusives Phänomen. (b) Zum andern wurde klar, in welch starkem
Maße die fernen Helden auf jeweils eigene Krisen bezogen sind: So handelt es sich bei dem
Reden über chinesische Helden in Deutschland oder über die deutschen Helden in China nur
vordergründig um einen internationalen Diskurs, tatsächlich aber um einen innerdeutschen
Diskurs, in dem China als Projektionsfläche gewählt wird bzw. um die Rede in China über
China, in dem deutsche Vorbilder in Dienst genommen werden. (c) Hinterfragt wurden
schließlich die in der Kulturtransferforschung zentralen heroischen Vermittlerfiguren: Sind die
Helden selbst jene Vermittlerfiguren oder werden sie lediglich als solche konstruiert und
präsentiert, ohne tatsächlich solchen heroischen Zuschreibungen gerecht werden zu können.
  Diese Fragen sollen in die Revisionen der Fallstudien einfließen, die in einem Sammelband
publiziert werden sollen. Es ist geplant, die Beiträge noch im Jahre 2019 zu redigieren, so dass
der Band Anfang 2020 erscheinen kann.